In der Kritik: Das Deutsche Jugendinstitut (DJI)
Zur Problematik des Artikels
J. Zimmermann, J. Fichtner, S. Walper, U. Lux, H. Kindler:
Verdorbener Wein in neuen Schläuchen
- Warum wir allzu vereinfachte Vorstellungen
von 'Eltern-Kind-Entfremdung' hinter uns lassen müssen
(ZKJ 2/2023,
3/2023).
Teil 3: Wissenschaftliche Aussagen und Inhalte systematisch verfälscht
Der DJI-Artikel*
versucht, Evidenz für Eltern-Kind-Entfremdung zu verneinen.
Aussagen und Inhalte wissenschaftlicher Publikationen werden dabei verfälscht,
um Leserinnen und Leser entsprechend zu beeinflussen.
Dies soll durch Fokussierung auf "Kontaktprobleme" erfolgen,
mit der Behauptung, dass diese langfristig keine negativen Folgen für Kinder hätten
(s. Teil 2).
Ein weiteres Beispiel zeigt, wie systematisch die Manipulationen erfolgen.
Ein weiteres Beispiel
Ein Abschnitt auf S. 48 des Artikels zeigt
Lesermanipulationen in sehr hoher Dichte:
Es wird eine Publikation zitiert (s. [1]),
die angeblich zeige:
Langfristige Folgen von Kontaktproblemen für Kinder seien
"bislang empirisch nicht gesichert",
Zitat:
"Luecken und Lemery (2004) ... wobei ausdrücklich festgehalten
wird, dass negative Folgen im Erwachsenenalter
bislang empirisch nicht gesichert sind".
Tatsächlich sagen Luecken & Lemery (2004) in ihren Schlussfolgerungen das Folgende
(Originaltext in Fußnote [2]):
Frühe Fürsorge verursacht eindeutig Einflüsse, die ein Leben lang anhalten können.
Die hier untersuchte Evidenz zeigt,
dass die Auswirkungen von früher Betreuung über psychologische Ergebnisse,
wie sie traditionell untersucht wurden,
hinausgehen und neurobiologische und physiologische Ergebnisse haben,
die sich langfristig auf die körperliche Gesundheit auswirken können.
Die Details
Im DJI-Artikel befindet sich die entsprechende Textstelle auf S. 48:![Zimmermann et al (2023) Zimmermann et al (2023)](../pic/pa03dji1.png)
Ⓐ
Diskreditierung:
"behaupten" suggeriert, die Aussage sei wenig verlässlich,
was irreführend ist, denn Baumann et al. "behaupten" nicht:
es ist eine Zusammenfassung von 7 Publikationen,
die in den Abschnitten zuvor berichtet wurden
(was der DJI-Artikel nicht erwähnt).
Ⓑ
Falsch-Referenzierung:
Leser werden auf eine falsche Referenz geführt,
denn nicht Luecken und Lemery (2004) ist die "Belegstelle",
sondern die 7 zuvor genannten Publikationen (vgl. Ⓐ).
Der nachfolgende Text wäre deshalb nicht mehr anwendbar,
aus der Referenz wird jedoch weiter Desinformation konstruiert:
Ⓒ
Falsch-Behauptung durch Dekontextualisierung:
Die Aussage "empirisch nicht gesichert" wurde aus dem
Original-Kontext gerissen:
Luecken & Lemery (2004) behandeln "physiologische Faktoren"
(Herzerkrankungen u. ä., s. [1])
und mehrfach wird erwähnt,
dass die Studienlage für psychische Erkrankungen
empirisch besser gesichert sei
- das Gegenteil der DJI-Aussage.
②
Diffamierung: Lesern wird durch unsachlich-negative Assoziationen
eine Art 'Unwissenschaftlichkeit' suggeriert: es gehe nicht um Wissenschaft,
sondern "vermutlich" um "Überdehnungen … Übertreibungen"
aus einer "aktivistischen Grundhaltung" heraus.
Desinformations-Methoden dieser Art scheinen das fortzusetzen,
was vom DJI bereits 2010 in einer Überschrift formuliert wurde
(s. Fußnote in Teil 2):
"Trennung kann für Kinder eine Erlösung sein - Eine Trennung
oder Scheidung der Eltern hinterlässt nur selten bleibende
seelische Schäden bei Kindern"
(DJI, 2010).
Selbstkritik
Im Gegensatz zu den bisher erwähnten, wissenschaftlichen Publikationen
erschien der DJI-Artikel nicht in einem international anerkannten Journal,
eine wissenschaftliche Prüfung
existierte oder funktionierte offenkundig nicht,
etc., weshalb die deutschen Positionierungen
gegen Eltern-Kind-Entfremdung Selbstkritik verlangen:
- Verneint ein Deutsches Jugendinstitut alles, was weltweit Anerkennung genießt, in hochrangigen Wissenschafts-Journals erscheint und unangezweifelt zigtausendfach gelesen wird?
- Wurde ein Artikel aus Deutschland, der mit einer fingierten Referenz beginnt (Teil 1) und systematisch Falsch-Zitationen und Falsch-Behauptungen benutzt (Teil 2 und Teil 3) zur Grundlage einer Entscheidung des Verfassungsgerichts?
- Wurde einem Bundesverfassungsgericht nichts von dem vorgelegt, was die Welt untersucht und schreibt und beweist - in mehr als 1000 Veröffentlichungen?
Antworten
Es scheint so, als hätte Deutschland nicht bemerkt,
welche Anerkennung die vom DJI zitierten Artikel genießen.
Der DJI-Artikel diskreditiert international anerkannte Publikationen,
von deren Beachtung Deutschland nur träumt,
während es sich in Grauzonen von Täuschung
und Verfälschung wissenschaftlicher Befunde verirrt.
Umgekehrt müssten wir fragen,
ab wann wir einen Artikel als so fehlerhaft kennzeichnen sollten,
dass er nicht mehr zur Grundlage eines BVerfG werden kann.
Dies adressiert den Verlag Reguvis und
die Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ).
Manch deutsche Fachzeitschrift veröffentlicht noch immer 'im Kollegen-Kreis',
ohne Manuskripte wissenschaftlich zu prüfen.
Die fatalen Folgen haben sich hier gezeigt.
Insbesondere aber bleibt die Frage, weshalb sich das
Bundesverfassungsgericht den DJI-Artikel zur Grundlage machte.
An dieser Stelle scheint das BVerfG selbst gefordert zu sein,
aufzuklären, wie so etwas passieren konnte.
Deutschland gegen die Welt?
Der DJI-Artikel stellt dar
(s. Teil 2), dass
"Die große Mehrzahl der vorliegenden Studien ... nicht aussagekräftig"
sei, Zitat:
"Ob ein Unterminieren der Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil ...
zusätzliche Schädigungseffekte hat, ist nicht ganz klar.
Die große Mehrzahl der vorliegenden Studien
(für eine Forschungsübersicht s. Miralles et al., 2021)
... ist nicht aussagekräftig".
Es wird nicht erneut untersucht, ob
"Die große Mehrzahl der vorliegenden Studien
... nicht aussagekräftig" sei, nur, und erneut:
auch dieser Artikel erschien in einem international anerkannten Journal,
gehört als 'Systematic Review' ebenfalls zu den wissenschaftlich hochrangigen Methoden,
der Artikel erzeugt ca. 10.000 'accesses' pro Jahr, etc.
Miralles et al. (2021,
Link)
berichten Ergebnisse, die es im DJI-Artikel nicht gibt, übersetzt:
Miralles et al. (2021):
... Kinder, die elterlichem Streit und Entfremdung ausgesetzt sind,
zeigen im Erwachsenenalter Depressionen und Angstsymptome,
ein höheres Risiko für Psychopathologie, ein geringeres
Selbstwertgefühl und eine geringere Selbstständigkeit.
Hinzu kommen höherer Alkohol- und Drogenkonsum,
Schwierigkeiten in der Elternbeziehung, unsichere Bindung,
geringere Lebensqualität, höhere Scheidungsraten,
Gefühle von Verlust, Verlassenheit und Schuld. ...
Das sind Ergebnisse, die der DJI-Artikel im Kontext von
Überdehnungen der Befundlagen durch Vertreterinnen und
Vertretern des Konzepts von 'Parental Alienation'
darstellt
(s. Teil 2).
Die Beispiele zeigen, dass nicht nur von Fehlern zu sprechen ist,
sondern von Desinformation aufgrund systematischer Elemente,
die Fragen zur eigentlichen Agenda des DJI-Artikels aufwerfen.
Was ist Denialismus?
Wie schon Teil 1 und 2
aufzeigten, scheint der DJI-Artikel mit der Hoffnung geschrieben worden zu sein,
eine Leserschaft würde nicht überprüfen, was die zitierten Quellen wirklich berichten.
Es stellt sich heraus, dass der DJI-Artikel vor allem eines ist:
ein Denialismus-Papier.
Deutschland muss sich offenkundig damit beschäftigen,
was Denialismus ist, denn:
Denialismus
ist eine Form der Missbrauchsleugnung*,
die verneinen will, dass Eltern-Kind-Entfremdung
eine Form von familiärer Gewalt ist.
* Der Begriff Denialismus wird im deutschen Sprachgebrauch
kaum verwendet, eine treffende Übersetzung fehlt.
Inhaltlich kommt der Begriff der "Missbrauchsleugnung"
dem am nächsten, jedoch wären auch Begriffe wie
"Misshandlungs-Leugnung", "Gewalt-Leugnung" u. ä. relevant.
Unter den wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist z. B. die folgende,
deutschsprachige Publikation empfehlenswert, die frei verfügbar ist:
- W. von Boch-Galhau (2018) Parental Alienation (Syndrome) - Eine ernst zu nehmende Form von psychischer Kindesmisshandlung. Neuropsychiatrie 32, 133–148. Zusammenfassung (Auszug):
"... Induzierte ElternKind-Entfremdung, die nicht behandelt wird, kann
zu traumatischen psycho-physischen Langzeitfolgen bei betroffenen Kindern führen. Dieser Tatsache
wird in familiengerichtlichen Verfahren noch unzureichend Beachtung geschenkt. Der Artikel befasst
sich zusammenfassend mit der Definition, der Symptomatik und den verschiedenen Schweregraden von
Parental Alienation und beschreibt einige wichtige
Entfremdungstechniken und mögliche psychosomatische und psychiatrische Folgen der induzierten
Eltern-Kind-Entfremdung. Schließlich wird auf Präventions- und Interventionsprogramme hingewiesen,
die inzwischen in einigen Ländern angewandt und
evaluiert werden. Zwei Fallbeispiele aus der Praxis
und ein ausführliches, internationales Literaturverzeichnis schließen die Arbeit ab".
Die Publikation von Boch-Galhau, die hohe Anerkennung genießt
und international zitiert wird, wird im DJI-Artikel zwar angegeben,
die relevanten Inhalte werden jedoch nicht berichtet.
Ein umfassendes Bild ergibt die
Literaturliste zum Thema Eltern-Kind-Entfremdung
mit mehr als 1000 Veröffentlichungen.
Als reale Gegendarstellungen zum DJI-Artikel seien die Bücher empfohlen,
in welchen Betroffene
mit ihrer eigenen Stimme beschreiben,
durch welche Methoden sie entfremdet wurden.
Denialismus ist auch, die Stimmen der Opfer zum Schweigen bringen zu wollen.
Die Institutionen
Es beunruhigt, dass an einer solchen Desinformations-Kampagne
deutsche Top-Institutionen beteiligt sind, die Garanten
für Kinderschutz und Kindeswohl in Deutschland sein sollten:
Bislang hat keine dieser Institutionen zu einem 'bedauerlichen Fehler'
oder ähnlichem Stellung genommen (Stand: Ende 2024).
- Das Deutsche Jugendinstitut, dessen Autoren (mit Leitungsfunktion) dieses Pamphlet verfassten,
- Die Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, die das Manuskript ohne wirksame Prüfung veröffentlichte,
- Das Bundesverfassungsgericht, das den 'Artikel' ungeprüft einer nationalen Rechtsprechung zugrunde legte,
- Das Bundesministerium für Familie (BMFSFJ), das solche Fehlentwicklungen finanziert.
*
Hinweise zu sprachlichen Vereinfachungen:
Formulierungen wie 'DJI-Autoren' oder 'DJI-Artikel' werden vereinfachend verwendet
(die Affiliation des Zweitautors wird z. B. mit "in eigener Praxis" angegeben).
Es liegen z. T. komplizierte Sachverhalte vor, zur besseren Lesbarkeit
wird deshalb stellenweise das generische Maskulinum verwendet.
Beschreibungen beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf alle Geschlechter.