Denialismus
Übersetzung des Artikels 'Countering Denialism About Parental Alienation',
E. Kruk (2023) 1
Den Leugnungen von Eltern-Kind-Entfremdung entgegentreten
E. Kruk, University of British Columbia
Eltern-Kind-Entfremdung ist eine Form von familiärer Gewalt - und wie sich anderslautende Behauptungen widerlegen lassen.
Kernpunkte
- Eltern-Kind-Entfremdung ist eine Form von familiärer Gewalt, die sich gegen intakte und gesunde Eltern-Kind-Beziehungen richtet.
- Der wissenschaftliche Status zum Thema Eltern-Kind-Entfremdung wurde durch umfangreiche Forschungsarbeiten bestätigt.
- Falsch-Behauptungen, die sich gegen das Konzept der Eltern-Kind-Entfremdung richten, können durch wissenschaftliche Befunde widerlegt werden.
Eltern-Kind-Entfremdung ist eine komplexe Form von familiärer Gewalt,
die sich gegen einen Elternteil richtet mit dem Ziel,
seine Beziehung zum Kind zu schädigen.
Die beiden Hauptmerkmale von Eltern-Entfremdung sind
1) die ungerechtfertigte Ablehnung und Weigerung des Kindes,
Kontakt mit dem betroffenen Elternteil aufzunehmen und
2) missbräuchliche Strategien des entfremdenden Elternteils,
um den betroffenen Elternteil abzuwerten.
Eine Eltern-Kind-Entfremdung liegt vor, wenn fünf Kriterien erfüllt sind (Bernet et al., 2022):
Die negativen Auswirkungen einer Entfremdung zwischen dem Kind
und dem betroffenen Elternteil sind gravierend und die Häufigkeit
der Fälle von Eltern-Kind-Entfremdung ist sehr viel höher als gemeinhin angenommen.
- Das Kind verweigert den Kontakt zum betroffenen Elternteil oder lehnt diesen ab;
- Das Kind hatte zuvor eine gute Beziehung zu jenem Elternteil;
- Der Elternteil war dem Kind gegenüber weder gewalttätig, noch liegen Missbrauch oder grobe Vernachlässigung vor;
- Der andere Elternteil, den das Kind bevorzugt, verwendet mehrere Entfremdungsstrategien und -methoden; und
- Das Kind zeigt Anzeichen von psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen, die einen Zusammenhang mit der Entfremdungs-Problematik erkennen lassen.
Der wissenschaftliche Status beim Thema Eltern-Kind-Entfremdung
wurde durch sehr viele Forschungsarbeiten bestätigt (vgl. Harman et al., 2022)
und das DSM-5-TR charakterisiert die Kernelemente von Eltern-Kind-Entfremdung
unter der Klassifikation „Eltern-Kind-Beziehungsproblem“
(einschließlich "negativer Zuschreibungen über die Absichten anderer,
Feindseligkeiten anderen gegenüber, und Gefühle der Entfremdung
in Abwesenheit nachvollziehbarer Gründe").
Widerstände, Eltern-Kind-Entfremdung als eine Form von familiärer Gewalt anzuerkennen,
sind nicht ausreichend begründet, dennoch wird Eltern-Kind-Entfremdung
in den Bereichen des Familienrechts, der Politik und der Berufspraxis
weiterhin kontrovers diskutiert (Bernet & Xu, 2022).
Wie von verschiedenen Wissenschaftsverbänden aufgezeigt,
wurden von lautstarken Kritikern des Konzepts der Eltern-Kind-Entfremdung
Falschbehauptungen aufgestellt und Desinformation verbreitet.
Dies erfolgte durch Methoden der Wissenschaftsleugnung und
durch Fehldarstellungen zum gegenwärtigen Stand von Peer-Review Publikationen
und zu gerichtlichen Fallschilderungen bei häuslicher Gewalt.
Insbesondere wird behauptet, gewalttätige Männer würden Eltern-Kind-Entfremdung
als Mittel der Falschbeschuldigung einsetzen, um von Vorwürfen häuslicher Gewalt ablenken zu wollen.
Dies wird benutzt, um das Konzept der Eltern-Kind-Entfremdung
zu diskreditieren und gesellschaftspolitische Verunsicherung zu schaffen,
die, in Unkenntnis des Konzepts, von Medien oder von populären Medien-Accounts aufgegriffen wird.
Argumente gegen das Konzept der Eltern-Kind-Entfremdung lassen sich leicht widerlegen.
Dafür stehen umfangreiche wissenschaftliche Befunde aus den vergangenen Jahren zur Verfügung,
insbesondere in Bezug auf Gewalt in Partnerschaften, Gewalt in der Familie und Eltern-Kind-Entfremdung.
Um Behauptungen entgegenzutreten, dass Eltern-Kind-Entfremdung ein fragwürdiges Konzept sei,
ist auf folgendes hinzuweisen:
- Es besteht wissenschaftlicher Konsens darin, dass Eltern-Kind-Entfremdung eine Form von familiärer Gewalt und Partnerschafts-Gewalt darstellt, und ebenso eine Form von Kindesmissbrauch. Durch mehr als tausend Veröffentlichungen (Link) zu diesem Thema (überwiegend empirische Studien aus dem letzten Jahrzehnt) wurden Missbrauchs-Strategien von entfremdenden Eltern gut dokumentiert, ebenso deren Folgen, die erhebliche Schädigungen für Kinder und die betroffenen Elternteile bedeuten. (Harman et al., 2022, 2018).
- Gewalt in Partnerschaften, Gewalt in der Familie und Eltern-Kind-Entfremdung sind keine geschlechtsspezifischen Phänomene; Männer und Frauen sind sowohl Täter als auch Opfer. Die Behauptung, dass sich Gewalt in Partnerschaften einerseits nur gegen Frauen richte und andererseits nur Männer von Eltern-Kind-Entfremdung betroffen seien, wird durch wissenschaftliche Forschung nicht bestätigt. Die weit verbreitete Annahme, dass Frauen in der Regel die Opfer von Partnerschafts-Gewalt und Männer immer die Täter seien, ist falsch (Harman et al., 2018).
- Partnerschafts-Gewalt, familiäre Gewalt und Eltern-Kind-Entfremdung treten oft nicht als schwerwiegende Fälle in Erscheinung, jedoch zeigen gerade die schwerwiegenden Fälle verheerende Folgen für die betroffenen Eltern und Kinder. Für betroffene Eltern stellt die Entfremdung von einem Kind ein komplexes Trauma dar; in Bezug auf Kinder stellt es einen erheblichen Kindesmissbrauch dar, der psychische Störungen verursacht infolge der falschen Überzeugung, der entfremdete Elternteil sei ein gefährlicher und unwürdiger Elternteil. Wenn der psychische Missbrauch, dem entfremdete Kinder und Eltern in schweren Fällen ausgesetzt sind, nicht erkannt wird, bleiben sie schutzlos dem Risiko schwerer Schädigungen ausgesetzt (Harman et al., 2018; Kruk, 2018).
- Es ist statistisch wahrscheinlicher, dass Vorwürfe von entfremdeten Elternteilen begründet sind, als dass Vorwürfe von entfremdenden Elternteilen begründet sind: 1) Die Wahrscheinlichkeit, dass begründete Vorwürfe zugrunde liegen, ist um 82 Prozent höher, wenn sie sich die gegen einen entfremdenden Elternteil richten 2) die Wahrscheinlichkeit, dass falsche oder unbegründete Vorwürfe zugrunde liegen, ist um 86 Prozent höher, wenn sie sich gegen einen entfremdeten Elternteil richten (Sharples et al., 2023).
- Zweifellos ist eine gerichtliche Entscheidung zum Sorgerecht erforderlich, wenn familiäre Gewalt nachweislich vorliegt; jedoch ist die Vermutung falsch, dass von Hochkonflikt-Eltern, die über Sorgerechtsangelegenheiten streiten, schwere familiäre Gewalt ausginge. Diese falsche Annahme erzeugt das Risiko, dass Kinder einen der beiden Elternteile verlieren, wenn ein alleiniges Sorgerecht oder eine einseitige Aufenthalts-Entscheidung vergeben wird. In solchen Fällen von Hochstrittigkeit erhöht sich das Risiko des Entstehens von familiärer Gewalt, die zuvor nicht involviert war (Kruk, 2018).
- Familiäre Gewalt ist bei der Mehrheit von Hochkonflikt-Eltern zunächst nicht involviert, entsteht dann jedoch bei der Hälfte jener Fälle, bei welchen Trennung oder Scheidung nach dem Prinzip “winner takes all” erfolgt und die Gefahr einer Eltern-Kind-Entfremdung besteht. Einige Experten argumentieren, dass der konfrontative Charakter des Sorgerechts-Systems regelrecht darauf zugeschnitten sei, die schlimmstmöglichen Ergebnisse zu produzieren: Die Eltern gehen in Konfrontation, wenn viel auf dem Spiel steht, und aus Meinungsverschiedenheiten werden heftige Konflikte, mit einem Potenzial, das zu Formen von Gewalt eskalieren kann (Kruk, 2018).
- Eine Sorgerechts-Praxis, die von beiden Eltern nach der Trennung gemeinsam durchgeführt wird, kann ein Schutzfaktor für Kinder sein und als Bollwerk gegen Partnerschafts-Gewalt, familiäre Gewalt und elterliche Entfremdung dienen. Gemeinsam praktizierte Sorge führt im Durchschnitt zu deutlich besseren Ergebnissen für Kinder und Eltern als das alleinige Sorgerecht oder einseitige Aufenthalts-Bestimmungen, und dies betrifft alle Ebenen von Scheidungsfolgen und anderen Regelungen (Kruk, 2018).
- Vorwürfe von Partnerschafts-Gewalt und familiärer Gewalt sind nicht dasselbe wie tatsächlich nachgewiesene Fälle von Gewalt. Falsche Anschuldigungen wegen häuslicher Gewalt treten sehr häufig im Kontext von strittigen Scheidungen auf, die dem Prinzip „winner takes all“ folgen (Kruk, 2018).
- Die beiden wichtigsten Faktoren bei Scheidungsfolgen für Kinder sind die Aufrechterhaltung von bestehenden Beziehungen zu beiden Elternteilen im Rahmen einer gemeinsamen elterlichen Verantwortung und der Schutz vor Gewalt in der Familie. Bei Fällen von Partnerschafts-Gewalt, familiärer Gewalt und Eltern-Kind-Entfremdung hat die Sicherheit von Kindern und Eltern oberste Priorität (Kruk, 2018; Harman et al., 2018).
- Partnerschafts-Gewalt, familiäre Gewalt und Eltern-Kind-Entfremdung müssen als Strafsachen betrachtet werden, und Hindernisse, die einer Verfolgung der Täter und dem Schutz der Opfer im Wege stehen, müssen erkannt und beseitigt werden. Opfer schwerer Gewalt benötigen den umfassenden Schutz des Strafrechtssystems. Darüber hinaus müssen Kindesschutzbehörden es als eine Angelegenheit des Kinderschutzes erkennen und entsprechend handeln, wenn Kinder Zeugen familiärer Gewalt werden; dies schließt auch Eltern-Kind-Entfremdung ein. Schließlich ist die Behandlung von Eltern-Kind-Entfremdung von entscheidender Bedeutung für das Wohlergehen von Kindern und Familien, während und nach einer Scheidung; dies betrifft auch spezielle Interventionen für entfremdete Kinder und Eltern, sowie Programme zur Wiederherstellung von Kontakten und Beziehungen.
Literatur
- Bernet, W., Baker, A. J., & Adkins, K. L. (2022). Definitions and terminology regarding child alignments, estrangement, and alienation: A survey of custody evaluators. Journal of forensic sciences.
- Bernet, W., & Xu, S. (2022). Scholarly rumors: Citation analysis of vast misinformation regarding parental alienation theory. Behavioral Sciences & the Law.
- Harman, J. J., Warshak, R. A., Lorandos, D., & Florian, M. J. (2022). Developmental psychology and the scientific status of parental alienation. Developmental Psychology.
- Harman, J. J., Kruk, E., & Hines, D. A. (2018). Parental alienating behaviors: An unacknowledged form of family violence. Psychological Bulletin.
- Kruk, E. (2018). Parental alienation as a form of emotional child abuse: Current state of knowledge and future directions for research. Family Science Review.
- Sharples, A.E., Harman, J.J. & Lorandos, D. (2023). Findings of abuse in families affected by parental alienation. Journal of Family Violence.
Über den Autor
Edward Kruk, Ph.D., ist emeritierter Professor für Sozialarbeit an der
University of British Columbia und ist spezialisiert auf Kinder- und Familienpolitik.
Fußnoten
1 Anmerkung zur Übersetzung: Formulierungen, die im Englischen gender-neutral sind
(z. B. 'a parent'), erfordern in der deutschen Sprache oft längliche Formulierungen.
Zur besseren Lesbarkeit wurde auf gender-neutrale Formulierungen verzichtet,
wenn sie den Text ungeeignet verkomplizieren (z. B. 'The parent' - 'Der Elternteil').
Von Übersetzungen wie 'Das Elternteil' wurde Abstand genommen.